(Da der Januar fünf Montage hat, gibt es für den phantastischen Montag heute eine Besonderheit: drei Geschichten auf einmal! Passend zum Januar-Genre „Märchen“ begeben wir uns in den „Märchenwald“)
Vor langen, langen Zeiten, als die Wälder noch weit und tief und voller Geheimnisse waren, da lebten dort auch die Trolle. Wer sich in den Rauhnächten nach Dunkelheit in den Wald wagte und sich vorsichtig einer der Lichtungen näherte, auf denen die Trolle sich in jenen Nächten versammelten, konnte ein ganz besonderes Ritual beobachten. In meiner Familie ist eine Geschichte aus diesen Zeiten überliefert. Wir wissen längst nicht mehr, wer das Geschehen in jener längst vergangenen Rauhnacht beobachtet hat, aber das ist die Geschichte von tanzenden Trollen und wie sie erzählt wird:
„Der Tango muss getanzt werden.“
Nä nä nä nä nä nä … Jonna sagte es nicht laut, aber in ihrem Kopf hallte der Trotz wider. NÄ NÄ NÄ NÄ NÄ NÄ. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und stampfte mit dem Fuß auf. Nicht, dass das besonders wirkungsvoll gewesen wäre. Der Schnee dämpfte, was ein nachhaltiger Knall hatte werden sollen. Nicht, dass der ihre Mutter beeindruckt hätte.
Schnee stäubte unter ihrem Fuß auf, wirbelte empor, und sie musste niesen.
Ihre Mutter lachte. Tränen liefen ihr aus dem Auge und an der dicken Knollnase hinab, und sie hielt sich ihren dicken Bauch, aus dem das tiefe Gelächter hinaufstieg.
„Ach Tröllchen.“ Ihre Mutter wischte sich mit dem Handrücken über das Auge.
Wie sie das hasste! Wenn sie wenigstens einen Spitznamen hätte, der von ihrem Namen stammte – aber nein, nicht einmal das brachte ihre Mutter fertig! Tröllchen. Als wüsste sie nicht, dass sie ein Troll war, als müsste sie ständig daran erinnert werden. Pah.
Sie stieß den Fuß erneut in den Schnee, so dass er wieder vom Waldboden aufstäubte, dieses Mal allerdings in Richtung ihrer Mutter. Doch die trat einfach nur einen Schritt zur Seite, und der Schnee flog auf und tanzte in tausend Kristallen wieder zu Boden.
Die, ja, die konnten tanzen! Schwerelos, zart, funkelnd – so, wie sie es nie hinbekommen würde.
„Und mit wem soll ich tanzen?“
„Mit mir zum Beispiel.“
„Du schaust doch eh nur Papa an.“
„Dann halt mit deinem Bruder.“
„Der hat jetzt Freda.“
„Ach Tröllch-“
„Nenn mich nicht so!“
Jetzt kreuzte auch ihre Mutter die Arme vor der Brust, und ihr eines Auge funkelte gefährlich. „Frollein.“ Hinter ihrem Rücken hervor zuckte ihr Schwanz, peitschte den Schnee rechts und links von ihr auf.
„Du wirst tanzen! Wie es Tradition ist!“
Ihr eigener Schwanz fegte über den Boden. Sie stemmte die Hände in die Hüften und hob das Kinn.
„Ich heiße Jonna!“
„Es sind die Rauhnächte. Und da tanzen Trolle Tango!“ Mit dem rechten Fuß donnerte ihre Mutter auf den Waldboden, dass die Baumkronen ringsum erzitterten und ihre weiße Pracht sich auf sie beide ergoss.
Jonna schüttelte sich und riss den linken Fuß nach vorn, kniff ihre Augen zusammen.
„Ha!“ Ihre Mutter wich einen Schritt zur Seite.
Doch sie folgte ihr, Spiegelbild der Bewegung – so leicht entkam sie ihr nicht! Dicht stand sie nun vor ihrer Mutter, starrte ihr ins Auge, und ihre Mutter starrte zurück.
„Warum können wir nicht einfach Weihnachten feiern wie alle anderen auch?“
„Weihnachten!“ Mit einem großen Schritt stürmte ihre Mutter auf sie zu, und sie wich zurück.
„Weihnachten!“
Noch ein Schritt rückwärts, dem Vorwärtsdrall ihrer Mutter geschuldet.
„Nur Menschen feiern Weihnachten.“
Wütend funkelte ihre Mutter sie an, als wäre schon die Frage ein Verrat an der Trollheit im Allgemeinen und ihrer Familie im Besonderen.
Leise sandte sie einen Seufzer in den winterlichen Wald und versuchte es mit einer neuen Taktik. Sie kreuzte die Beine und schlug die Wimpern nieder.
„Aber – aber die Kerzen – die haben ein so schönes Licht – und die Kekse, die sehen so lecker aus …“
„Ah – und die Geschenke, nicht wahr?“
Ein weiterer entschiedener Schritt ihrer Mutter nach vorn trieb sie weiter zurück.
Klar, die Geschenke waren auch nicht zu verachten.
„Ach, die sind nicht so wichtig.“
Dieses Mal spürte sie die Bewegung ihrer Mutter, noch bevor sie den Seitwärtsschritt sah, und blickte sie triumphierend an, während sie dem Schritt folgte. So leicht ließ sie sich nicht abschütteln!
Da legte ihre Mutter den Kopf zurück und lachte, dass die Äste der Birken erzitterten.
„Nun hast du doch mit mir getanzt!“
Und schon schlang ihre Mutter den rechten Arm um sie und streckte die linke Hand nach ihrer Hand aus. Immer noch lachte sie und klang dabei so – heiter, so zuversichtlich, so abstoßend fröhlich.
Sie warf einen Blick auf die Spuren, die sie im Schnee hinterlassen hatten. Tangoschritte. Da gab es kein Leugnen. Jonna seufzte. Und da entschlüpften ihr die Worte, die sie für sich hatte behalten wollen.
„Aber ich kann doch gar nicht tanzen.“
Das Lachen verstummte.
„Und wie nennst du dann das, was wir gerade getan haben?“
„Das?“ Sie schaute von ihrer Mutter weg auf den verräterischen Schnee.
„Trollgetrampel.“
„Du nennst deine Mutter einen Trampel?“
„Nein!“ Sie nagte an ihrer Unterlippe. Immer schaffte die es, dass alles sich um sie drehte!
„Du nennst dich einen Trampel?“
Jonna schwieg.
Eine Hand schloss sich um ihr Kinn, zwang sie, den Kopf zu drehen, bis sie direkt in das Auge ihrer Mutter sah. Wut glomm darin.
Jonna schloss die Augen. Wenn dieser verdammte Waldboden sich doch nur einmal unter ihren Füßen auftun könnte! Ein Mal. War das zu viel verlangt? Ein Mal verschwinden können. Einfach so.
„Tröllchen. Sieh mich an.“
Wieso klang die Stimme ihrer Mutter so sanft? Das war bestimmt ein übler Trick. Sie kniff die Augenlider fester aufeinander.
Finger strichen über ihre Wange. „Jonna.“
Sollte sie es riskieren? Sie blinzelte – auf, zu. Hm. Sie riskierte es erneut. Auf, zu, auf, zu – auf.
„Jonna. Du bist kein Trampel.“
Sicher. Sie starrte hinab auf ihre riesigen Füße. Was bitte sollte man damit anderes sein?
„Jonna, Kind.“ Ihre Mutter schüttelte den Kopf, umfasste sie fester und wirbelte sie herum, schritt und sprang mit ihr über die Lichtung, deren Schnee im Sternenlicht funkelte, und das Funkeln spiegelte sich im Auge ihrer Mutter. Es war ein ganzer Funkenregen, der dort tanzte, wild und unbekümmert und so herrlich, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als zu tanzen und zu lachen und atemlos zu werden und weiter zu tanzen.
Das Lachen hallte weit durch den Wald und lockte alle anderen Trolle herbei. Bald war die Lichtung voller tanzender Trolle, die lachten und den Schnee aufstieben ließen, so dass er mit ihnen tanzte, sie in glitzernden Funken umhüllte und ihnen die Augen mit Sternenlicht füllte.
Erst kurz vor Morgengrauen fand der Tanz ein Ende, und die Trolle verstreuten sich im Wald. Doch ihr Lachen hallte noch immer von einem Winkel des Waldes zum anderen, und am lautesten hallte es auf der Lichtung nach, auf die leise neuer Schnee fiel, der darauf wartete, dass der Tanz der Trolle ihn aufwirbele und zum Funkeln bringe. Und die Trolle sehnten den Anbruch der Dunkelheit herbei und schickten ihr Gelächter voraus durch den Wald, und die mit der größten Ungeduld und dem lautesten Lachen war Jonna.
(Auch C. A. Raaven und Carola Wolff waren im Märchenwald und haben Geschichten mitgebracht. Viel Spaß mit einem tapferen Käfer und einem Dämon!)