Phantastischer Montag: Mondverzaubert

Schau mal, der Mond.“

Kleine Flügel fächern mir einen Windhauch zu. Ich öffne die Augen nicht. Den Mond kann ich mir vorstellen und mit geschlossenen Augen dazu auch ein Meer. Und solange ich mich konzentriere, höre ich auch das Meer rauschen und der Windhauch wird zu einer kühlen Brise, die über die Wellen zu mir herangetragen wird, die Tageshitze vertreibt.

Jetzt schau doch mal!“ Drachenkrallen kratzen über meinen nackten Oberarm. Selbst auf dem Balkon ist nachts noch T-Shirt-Wetter. Ich lasse widerwillig von meinen Meeres-Gedanken ab und öffne die Augen. Der Mond hängt dick und rund am dunklen Himmel, leuchtet über Häuserdächer und die dichten Blätterkronen der Bäume.

Und?“, knurre ich, während ich über die feinen Kratzspuren auf meinem Arm fahre. Ja, der Mond ist hübsch. Aber ich kann nichts außergewöhnliches an ihm entdecken. Kein Blutmond, keine Mondfinsternis, nicht einmal ein Supermond oder wenigstens Wolken, die ihn irgendwie geheimnisvoll umranden. Ti’run, silber glitzernd in seinem Licht, hat die Krallen um das Balkongeländer geschlungen — die der Hinterpfoten um die untere Stange, die der Vorderpfoten um die darüber — und starrt das sanft leuchtende Gebilde dort oben an, als gäbe es nichts Faszinierenderes im Universum. Ihre Flügel schwanken leicht in einer nicht vorhandenen Nachtbrise.

Was, meinst du, liegt dahinter?“, fragt sie ungewohnt leise.

Ich krame in meinem Kopf. Aber Sternenkarten sind da nicht abgespeichert. Verläuft die Milchstraße von hier aus gesehen — wenn sie denn zu sehen wäre — hinter dem Mond? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, welcher der Planeten hinter dem Mond liegt. Dabei musste ich die Reihenfolge als Kind mal auswendig lernen. Aber liegen die Planeten überhaupt hinter dem Mond? Da oben steht ja nix still. Meine Gedanken drehen sich, und ich habe schon zu lange geschwiegen. Also zucke ich nur mit den Schultern. „Sterne?“, schlage ich doch noch zögernd vor.

Dieses Mal ist es Ti’run, die knurrt.

Mir reicht’s. „Ich bin keine Astronautin. Oder Sterndeuterin. Oder Astrophysikerin. Oder wer sich sonst mit so Zeug auskennt“, mosere ich.

Aber du bist Autorin.“ Der kleine Drache faltet die Flügel und dreht sich zu mir um, die Augenbrauen eng zusammengezogen. „Also lass dir gefälligst was einfallen.“

Zu warm“, protestiere ich. „Mein Hirn ist Matsch.“

Ti’run seufzt so tief, dass ihr ganzer kleiner Körper von dem Laut bebt. „Du machst es einem Drachen echt nicht leicht.“

Ach ja?“ Wenn mir nicht so warm wäre, würde ich wild gestikulieren vor Empörung. „Du hast es also nicht leicht? Du musst dir die Geschichten nicht ausdenken! Du rennst nicht mit dem Kopf gegen Mauern oder musst zusehen, wie jeder einzelne Einfall unter der Hitze verdampft! Du tust doch nichts als schlafen, fliegen, Dinge in Brand setzen, blöde Bemerkungen machen, wieder schlafen, abhängen, Chaos stiften, faulenzen, nutzlose Fragen stellen.“ Ich stoppe, weil mir als nächstes nur wieder schlafen einfällt und ich Wiederholungen nicht mag.

Ti’run hat den Kopf zur Seite gelegt. „Fertig?“

Für den Moment.“ Ich schaue zum Mond, weil sonst mein Ärger verpuffen würde, weil der kleine Drache an meinem Balkongeländer zu niedlich aussieht. Ein unfairer Vorteil.

Wir schweigen beide. Bestimmt schaut auch Ti’run wieder zum Mond. Ich muss zugeben, er sieht schön aus, wie er da im Dunkeln leuchtet, der Nacht ein sanftes Licht schenkt, in dem Blätter, Äste, Schornsteine und Häuserdächer scharfe Umrisse bekommen. In unserem Schweigen macht sich Ti’runs Frage erneut in meinem Kopf breit. Was, meinst du, liegt dahinter? Vielleicht — nein! Nein, so leicht werde ich es ihr nicht machen und mich verführen lassen, mir eine Antwort zusammenzuphantasieren. Soll sie sich doch selbst was ausdenken. Gibt doch bestimmt Drachenmythen zum Mond und allem, was dahinter liegt.

Hörst du das?“, wispert Ti’run.

Ich halte den Atem an. Lausche. Nicht mal ein Blatt raschelt. Die Fenster in den umliegenden Häusern sind zwar weit geöffnet, aber auch aus ihnen dringt kein Laut. Nicht einmal ein Schnarchen. Ich stoße die angehaltene Luft aus, störe die Stille, atme tief ein. Und dann höre ich sie. Ganz leise.

Eine Melodie, aber keine Stimme, kein Instrument, das ich kenne. Ich lausche. Die Melodie wiegt die Nacht wie ein Meer, zieht Silberfäden durch das Wasser, kribbelt kühl auf meiner Haut und ich folge ihr, drehe mich in ihrem Licht, strecke die Arme, wirbele herum, schaukele auf den Tönen, folge dem Auf und Ab der Wellen. Helles Drachenlachen mischt sich unter die Melodie, schmiegt sich in sie ein, so wie Ti’run geschmeidig um mich herum fliegt und flattert und mit mir tanzt und ich mit ihr und wir mit dem Mond.

Ich stehe still, ich sinke zurück auf meinen Stuhl, vielleicht bin ich nie aufgestanden, nur mein Atem, der laut durch mich strömt, behauptet etwas anderes. Ti’run landet auf meinem linken Unterarm. Ich hebe sie an mein Gesicht, neige den Kopf zu ihr, dorthin, wo sich ihre Ohrmuscheln hinter Schuppen verbergen und flüstere: „Hinter dem Mond, da …“ Ich bewege die Lippen an ihren Schuppen, sodass nur sie mich hören kann und beginne zu erzählen.

(Im Juni lassen wir uns beim phantastischen Montag von dem Song „Bella Luna“ von Jason Mraz inspirieren. Wozu das so geführt hat, könnt ihr auch hier nachlesen bei Carola Wolff, C. A. Raaven und nächsten Montag dann auch bei Alexa Pukall – viel Spaß mit dem schönen Mond und der Lektüre!)