Phantastischer Montag: Aufklärungsflug Nummer 9

(2023 widmen wir uns verschiedensten Genres der Phantastik, im Februar ist das: Space Opera)

Logbuch-Eintrag 2023 – Titel: So schnell wie möglich!

Besatzung der Afar auf ihrem neunten Aufklärungsflug:

Luiraz (Drache)
Milenka (Katze)
Iniry (Elf’in)
Ekanté (Hexe)
Towyn (Druide)
Ninx (Gargoyle)
Onycha (Sirene)

Gemeinsame Vorbemerkung.
Es ist das erste Mal seit diese Crew sich vor neunzig Jahren zusammenfand, dass wir tatsächlich einer Meinung sind. Damals sind einige von uns nur widerstrebend und unter großen Zweifeln dem Angebot gefolgt, die Erde zu verlassen, andere waren schon längst gegangen. Und auch wenn viele der dann folgenden Ereignisse und Entwicklungen unsere Befürchtungen bestätigt haben, so erfüllen uns unsere Zweifel und die Sehnsucht nach dem Planeten, der uns über Jahrtausende Heimat war, doch weiter mit Schwermut.

Individuelle Einträge.

Luiraz: Ich habe als Letzte meiner Spezies die Erde verlassen. Nennt mich stur. Sogar andere Drachen tun das. Und wenn eine Spezies Sturheit als einen ihrer grundlegenden Wesenszüge beanspruchen darf, so sind das wir Drachen. Allerdings bevorzugen wir den Ausdruck Beharrlichkeit. Aber ich schweife ab. Als die Menschheit auftauchte, haben viele Drachen sie als vorübergehende Spezies angesehen, ein launiges Experiment der Natur, das sich von selbst erledigen würde. Wer hätte damals ihre weitere, so radikale Entwicklung auch nur erahnen können? Sie schienen klein und unbedeutend. Und ihre Leben waren so kurz. Wie sollten sie da unser aller Leben nachhaltig beeinflussen können?
Wie wir jetzt wissen, haben wir diese Spezies, ihre Entwicklung und vor allem ihren Einfluss auf unsere Heimat massiv unterschätzt. Sie sind zerstörerischer als jeder Vulkanausbruch. Es schmerzt mich, ihre Zerstörungskraft am Werk zu sehen. Aber nicht einmal das vereinte Feuer aller Drachen könnte sie jetzt noch von der Erde vertreiben. Sie haben sie an sich gerissen – und wir haben es zugelassen.
Ich habe lange geglaubt (glauben wollen), dass allein die Anwesenheit magischer Wesen auf der Erde unsere Heimat retten könnte. Deshalb bin ich so lange geblieben. Doch ich muss mir eingestehen, dass dieser Glaube ein Irrtum war. Die Erde wird immer meine Heimat bleiben. Ich nehme die Sehnsucht nach ihr überall hin mit, trage sie auf meinen Schuppen und in meinem Feuer. Und so hoffe ich, und diese Hoffnung vermag ich nicht aufzugeben, dass die Erde die Menschheit überleben wird. Dass wir eines Tages zurückkehren können. Nennt mich ruhig stur (ich bin daran gewöhnt).

Milenka: Was soll ich noch sagen? Meine Spezies hat wirklich ihr Bestes gegeben, diese Zweibeinigen zu beeinflussen. Aber sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, unsere Sprache zu lernen. Leider muss ich auch zugeben, dass einige von uns sich haben einlullen lassen vom bequemen Leben in den Haushalten der Zweibeinigen. Ich fürchte, das Dosenfutter hat sich negativ auf ihre Gehirne ausgewirkt.
Vermisse ich die Erde? Nun, ich vermisse eine Erde, die ich mal gekannt habe, eine, die ich aus den Erzählungen der Alten kenne, ihren Überlieferungen. Aber vieles davon finde ich in unserer neuen Heimat. Drachen bieten hervorragenden Schutz vor Regen (schon durch ihre schiere Größe), sind immer bereit ein wärmendes Feuer zu entzünden und erzählen in langen Nächten die besten Geschichten. Und sie geben sich mit einem Schnurren als Kommentar und Gegenleistung zufrieden. Denn sie wissen noch um die Magie, die im Schnurren liegt. Und dort, wo das wertgeschätzt wird, lebt diese Magie auch weiter.
Ich hoffe nur, dass die Entwicklung einer Menschheit uns in der neuen Heimat erspart bleibt. Denen hat doch die Angst vor der eigenen Sterblichkeit total die Perspektive verdorben. Allen meiner Spezies, die dort noch leben und deren Hirn nicht von Dosenfutter vermurkst ist, empfehle ich die Flucht. Wir haben wirklich keine Zeit mehr für irgendwelche Sentimentalitäten.

Iniry: Es ist seltsam, zu einer Spezies zu gehören, über die so viel (irriges) geschrieben wurde von einer Spezies, die dann doch nicht wirklich an unsere Existenz glaubt (hingegen zu großen Teilen an alle möglichen Gottheiten, die sie nie zu Gesicht bekommen haben – das verstehe, wer es vermag). Wir Elf’innen haben ja als erste magische Spezies die Erde verlassen. Aus Zwang, nicht freiwillig. Alle Elemente, die wir zum Leben brauchen, wurden vergiftet, einschließlich von Luft und Wasser. Von den Wäldern will ich gar nicht erst anfangen. Und nichts davon ist besser gewesen, wenn ich heute auf die Erde blicke – im Gegenteil.
Die Menschheit hat sich da erstaunlich robust gegen die Gifte erwiesen, die sie selbst produzieren. Uns haben sie von der Erde vertrieben. Mich erfüllt heute großer Schmerz angesichts ihrer vielen Wunden. Selbst wenn die Menschheit von ihr verschwindet (und ich habe keinen Zweifel mehr daran, dass das geschehen wird), von sich selbst ausgelöscht, wird es noch sehr, sehr lange dauern, bis meine Spezies zurückkehren könnte.
Da von uns niemand mehr auf der Erde weilt, wird dies meine letzte Beteiligung an einem Aufklärungsflug sein. Es ist zu schmerzlich, diesen Verfall weiter zu beobachten. Ich wünsche allen magischen Wesen, die dort noch ausharren, die Einsicht, wie aussichtlslos ihre Hoffnungen sind – und eine sichere Flucht.

Ekanté: Ich bewundere alle meiner Spezies, die noch Hoffnung wagen. Die bleiben. Natürlich ist es nicht immer einfach in der neuen, fernen Heimat. Da eine meiner Gestalten den Menschen täuschend ähnlich sieht, trifft mich oft Misstrauen. Da ist es leichter, eine meiner anderen Gestalten anzunehmen (und ich habe wirklich nichts dagegen, als Rabe durch die Welt zu fliegen oder mich als Katze an die Tatzen von Drachen zu schmiegen), aber ich bin nun einmal alle meine Gestalten und verspüre so von Zeit zu Zeit die Sehnsucht, meine menschliche Gestalt anzunehmen. Das war leichter in der alten Welt. Aber in der neuen Welt will uns immerhin niemand wegen unserer Magie verbrennen. Und sie bemühen sich alle, an ihrer Voreingenommenheit zu arbeiten.
Ich verstehe auch, dass der Anblick unserer menschlichen Gestalten schmerzhaft ist. Manchmal ertrage ich ihn selbst nicht. Trotzdem gehört auch diese Gestalt zu mir. Zu uns. Und so tragen wir auch diesen Teil der alten Welt mit in die neue. Den Hexen, die in der alten Welt verweilen, wünsche ich viel Kraft. Ich verstehe, wie schwer es ist fortzugehen. Wie unvorstellbar, alles Vertraute zurückzulassen (trotz allem, was wir dort schon ertragen mussten). Ich verstehe, wie viel leichter es ist, sich einzureden, dass eine Rettung noch immer möglich ist. Und zugleich trauere ich um alle, die sich entschließen zu bleiben. Bei aller Sehnsucht kann ich ihre Hoffnung zwar bewundern aber nicht teilen.

Towyn: Es ist höchste Zeit, das alte Wissen in die neue Welt zu tragen. Ich hoffe sehr, dass auch die letzten Druiden dies verstehen und habe den Worten meiner Schwester Ekanté nichts hinzuzufügen.

Ninx: Haut ab, solange ihr noch könnt! Das möchte ich ihnen allen zurufen. Meine Spezies ist leider verdammt unbeweglich. Sie hocken auf ihren Dächern, ihren Brunnen und versteinern im Laufe der Jahrhunderte immer mehr. Wacht auf! Bewegt euch! Es tut wirklich, wirklich gut. Das ist alles, was ich zu sagen habe. Wenn sie mir nicht glauben, bleibe ich halt der einzige Gargoyle in der Ferne. (Aber selbst meinem steinernen Herz versetzt das einen Stich, auch wenn ich das nie laut aussprechen werde.)

Onycha: Was soll ich noch singen? Die Menschen haben unsere Gesänge nie verstanden, überliefern noch immer, dass sie eine Gefahr wären. Dabei haben wir immer nur vor der Gefahr gewarnt. Der Gefahr, die selbst darstellen. Für sich selbst. Und leider auch für alle anderen, die mit ihnen eine Heimat teilen.
Und so kann ich nur das Angebot meiner Spezies wiederholen: Wir sind bereit, einen letzten Gesang zu singen für alle magischen Wesen, die noch auf der Erde ausharren, damit sie von unserem sicheren Fluchtweg erfahren.
Mehr können wir nicht tun.

Abschließendes gemeinsames Statement.
Wir verstehen alle, die die Hoffnung nicht aufgeben möchten. Wir verstehen, dass diejenigen, die noch hoffen und aufgrund dieser Hoffnung handeln, die letzte Chance unserer früheren Heimat sind. Und trotzdem empfehlen wir dringend, allen noch dort weilenden magischen Wesen den Fluchtweg anzubieten. So schnell wie möglich.

(Die anderen Geschichten aus dem Februar könnt ihr hier nachlesen:
Carola Wolff: Root, Snow & Thorn
C.A. Raaven: Bumm)