Phantastischer Montag: Wintersonnenwende

(Eigentlich hatte ich für das Thema „Wald“ eine andere Geschichte angedacht – aber so nach den Entwicklungen der letzten Wochen und Tagen wollte ich doch lieber eine Geschichte, die etwas optimistischer ist … Hier also ein Einblick in das Leben einiger Waldwesen. Viel Vergnügen beim Lesen!)

Es durfte heute nicht regnen. Faunia presste die Augenlider fest zu. Dieses Rauschen musste noch zu ihrem Traum gehören. Sie würde einfach weiterschlafen, bis das Geräusch verschwand. Doch so sehr sie sich den Schlaf zurücksehnte, er verweigerte sich. Faunia stöhnte missmutig. Also gut, also gut. Sie klemmte die Felldecke unter dem Kinn ein und stützte sich auf die Ellbogen.
Erst dann öffnete sie die Augen. Der Boden ihrer Felshöhle hatte sich in einen reißenden Bach verwandelt. Von dem Felsvorsprung, auf dem ihr Bett war, starrte sie hinab in das schäumende Nass.
Nee. Also wirklich nicht. Nicht heute.“ Das Echo ihrer Stimme hallte frostig von den Höhlenwänden wieder. Dort, wo sich das Wasser am rauen Fels verfing, wuchsen Eisranken in die Höhe.
Kälte stahl sich unter ihre warme Decke, legte sich auf Faunias Haut, drang ihr bis auf die Knochen. Wenn Knochen eine Gänsehaut bekommen könnten, würden deren Spitzen sich von innen gegen ihre Haut drücken. Faunia schüttelte sich. Vielleicht war es an der Zeit, sich die Decke über den Kopf zu ziehen und das Unvermeidliche hinzunehmen. Alles ging einmal zu Ende. Und lieber nahm sie ihr Ende im Warmen hin als in der eisigen Luft.
Langsam sank sie zurück auf ihr Bett aus Moos und Federn. Schon besser. Nur ließen sich jetzt, da sie einmal aufgewacht war, die Gedanken nicht aufhalten. Sie wanderten und hüpften, als wäre längst Frühling, neckten sie mit Ideen und tollten umher wie sie selbst in jungen Jahren auf einer Sommerwiese.
Ich bin aber nicht mehr jung“, sagte Faunia laut und hoffte, der Klang ihrer knarzigen, alten Stimme möge die Gedanken zur Vernunft bringen. Die tollten unbeeindruckt weiter.
Faunia rollte sich auf die Seite. Blinzelte in das schäumende Wasser hinab. Blickte die Eisranken empor, die im dämmrigen Morgenlicht träge glitzerten, das durch den Vorhang aus Farn am Höhleneingang fiel.
Damit wollt ihr mich wohl beeindrucken“, murmelte sie. „Klappt aber nicht.“ Von den Eisranken kam keine Antwort. Die mussten auch gar nichts sagen, schließlich war klar, dass sie am Ende gewinnen würden, wenn Faunia hier liegen blieb. Irgendwann würden sie bis zu ihr hinauf gewandert sein und über ihre Decke kriechen. Sie einschließen. Ein kaltes Grab. Faunia fröstelte und ihre Gedanken schreckten zusammen.
Sie könnte wenigstens versuchen, sich noch ein Mal aufzusetzen. Bis auf die Ellbogen hatte sie es schließlich schon geschafft gehabt, von dort wäre es dann nur ein kleiner Schritt weiter.
Der Frost küsste sie auf den Nacken. Jeder Wirbel in ihrem Rücken knackte. Faunia streckte sich im Sitzen und zog ihren Wollumhang von dem Haken an der Felswand. Sie schlug den Umhang kräftig gegen den Fels, mehrere Male, um ein wenig von der Kälte aus dem Kleidungsstück zu vertreiben. Dann legte sie ihn sich um die Schultern.
Jetzt, wo sie schon saß, konnte sie auch eine Kleinigkeit essen, beschloss Faunia. In der Schüssel neben dem Bett fanden sich noch ein paar Nüsse. Während sie eine nach der anderen kaute, hakte sie die Schüssel in den Krummstab ein und tauchte sie in den Bach unter ihr. Auch ein Schluck Wasser konnte nicht schaden.
Die Kälte des eisigen Nass fuhr ihr von den Haar- bis in die Zehenspitzen. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, der die Eisranken zum Klirren und Splittern brachte. Faunia lachte. Der dunkle, tiefe Klang hellte ihre Stimmung auf. Sie schob die Decke von sich. Sofort griff die Kälte nach ihren Knien.
Das hättest du wohl gern, das ich jetzt wieder aufgebe“, murrte sie ihr zu und zwang sich auf die Füße. „Pech gehabt.“
Der Wollumhang kitzelte ihre Zehen, ließ sie kichern, auch wenn der Blick zum Höhleneingang eine von Eis überzogene Kletterpartie versprach. Ihre Gedanken hüpften voraus, zeigten ihr den Weg über Felsvorsprünge und entlang schmaler Absätze. Einige Stellen waren sogar frei von Eis. Faunia machte einen Schritt vom Bett und den nächsten von ihrem Schlafpodest hinüber auf die erste Stufe der in den Fels gehauenen Treppe. Doch anstatt wie sonst hinunterzugehen, setzte sie den Fuß auf einen kleinen Felsabsatz, den die Eisranken noch nicht erreicht hatten. Von dort tastete sie sich weiter voran.
Ein Sonnenstrahl fiel durch den Farnvorhang herein. Er schickte Tausende glitzernder Boote über den Bach. Sie tanzten auf seinen Schaumkronen, schienen die Wildheit des Wassers zu verlachen. „Leicht für euch“, brummelte Faunia und konzentrierte sich wieder auf ihren Weg. Das Eis drang selbst durch ihre von Wind und Wetter gegerbten Fußsohlen, wollte sich frostig in ihr festsetzen. Doch Faunia blieb nicht stehen. Solange sie sich bewegte, konnte das Eis keinen Halt in ihr finden.
Endlich erreichte sie den Farnvorhang. Die Ranken aus blassem Wintergrün raschelten, als sie sie behutsam zur Seite strich. Der Morgen draußen war nicht viel wärmer als ihre Höhle. Aber die Sonne schien. Kein Regen. Sie legte die Ranken über einen kleinen Vorsprung neben der Öffnung, damit das Licht bis in den letzten Winkel der Höhle fallen konnte. Dann trat sie hinaus.
Neben dem Eingang lehnte Friss und grinste sie an. „Dachte schon, du würdest heute nie aufstehen.“
Bah, ich doch nicht.“ Faunia versetzte dem kleinen Troll einen Stoß gegen die Schulter. Dazu musste sie sich mächtig strecken. Ihr war, als führen Luft und Sonnenlicht zwischen ihre Knochen und vertrieben die letzten Reste der Wintermüdigkeit. „Gehen wir Holz sammeln, oder was? Wir haben eine Feier vorzubereiten!“
Und das hatten sie wirklich. Der kürzeste Tag stand bevor, es galt, das zurückkehrende Licht zu begrüßen, daher musste vieles hineinpassen in diesen kurzen Tag, wenn sie die Nacht mit ihren Feuern erleuchten und mit allen aus dem Wald feiern wollten.

Der Tag verflog mit den Vorbereitungen. Sie trugen Essen und Holz zusammen, und alle brachten mit, was ihre Wintervorräte noch hergaben. Sie gruben die Feuerstellen aus dem Schnee frei, schichteten die Äste und Zweige auf. Mit der ersten Dunkelheit loderten die Flammen auf. Knisternd und knackend vertrieben sie auch die letzte Kälte aus Faunias Knochen. Durch die tanzenden Feuerzungen blickte sie zu Friss und den anderen Waldlebewesen und war froh, dass sie am Morgen doch aufgestanden war. Noch war es nicht Zeit für das Ende.

2 Kommentare

  1. Pingback:Phantastischer Montag im März: Wald | Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug. (Hilde Domin)

  2. Wie schön. Man kann den Frühling bis in die Zehenspitzen fühlen. 🙂