(Im Dezember ist unser Genre High Fantasy und ich nehme euch mit in eine Welt, in der es bestimmt noch mehr zu erzählen gibt, aber dies ist die erste Geschichte daraus, eine Wintergeschichte.)
Das Treiben auf dem Marktplatz war ebenso dicht wie das Schneegestöber. Das Flackern der Öllampen und Kerzen schuf kaum genug Licht, die ausgestellten Waren zu betrachten. Nur gelegentlich funkelte ein Schmuckstück auf oder buntes Kristallglas glitzerte im Flammenschein. Das Fest der Wintersonnenwende. Länger werdende Tage, kürzere Nächte – natürlich mussten Menschen ein Fest daraus machen. Niyara kniff die Augen zusammen und zog die Schultern hoch, wappnete sich innerlich für weitere Stunden im dichten Gedränge. Alle anderen aus ihrer Truppe hockten jetzt um den bollernden Holzofen in Mikoschs Wagen und schlürften Tee, während Mila aus dem neuen Theaterstück vorlas. Bestimmt gab es dazu auch Daras Früchtebrot.
Der Wind trieb Niyara den Schnee ins Gesicht. Sie drehte sich um und schlug den Kragen hoch, damit ihr das kalte Zeugs nicht in den Nacken fiel. Ganz egal, was der nächste Stand anbot, sie war fest entschlossen, dort für alle passende Geschenke zu erstehen. Du schaffst das, hörte sie Milas Stimme in ihrem Kopf. Den Wind im Rücken stapfte Niyara los. Sie würde etwas für Mila finden und für Mikosch und für Dara, für Lyk und auch für den kleinen Snot.
Doch der nächste Stand bot nur heißen Wein an. Auf den metallisch glasierten Bechern funkelte das Kerzenlicht und Niyara konnte nicht widerstehen. Der heiße Wein würde gegen die Kälte helfen. Doch sobald sie den Becher berührte und der Händler nach dem Wechselgeld kramte, überlegte sie bereits, wie sie das Gefäß unauffällig verschwinden lassen und behalten könnte. Dabei wollte sie dieses Mal wirklich nichts borgen, sondern ehrbar Geschenke erwerben. So viel dazu, dass sie nun ausgewachsen war. Niyaras Seufzer brachte die Schneeflocken vor ihrem Gesicht zum Schmelzen.
Mit übertriebener Sorgfalt platzierte der Weinhändler eine sonnig glänzende Münze auf seiner Handfläche und streckte sie Niyara hin. Kaum berührte sie die Münze, ertönte ein Fauchen. Niyara zuckte von der Hand weg, konnte gerade noch ein Antwortfauchen unterdrücken. Ein wenig heißer Wein schwappte über ihre Finger. Der Händler reichte ihr ein Tuch. „Keine Sorge, solange Sie ihn nicht von der Münze trennen, beißt der auch nicht.“
Niyara starrte auf die Handfläche. Auf die Münze. Auf den kleinen Drachen, der sich mit seinen winzigen Krallen an die Münze klammerte. Der goldene Schimmer der Münze spiegelte sich in seinen Augen. Seine Schuppen funkelten smaragdgrün, als fielen trotz des Schneetreibens Sonnenstrahlen darauf.
Der Händler und beugte sich näher zu Niyara. „Nehmen Sie ihn. Aber geben Sie ihn bald wieder weg. Der kleine Kerl wird ungehalten, wenn er länger an einem Ort ist. Ich hab ihn gerade mal drei Tage, und er hat mir heute schon vier Becher zertrümmert.“
Der kleine Kerl stellte die Flügel auf und schlug mit dem Schwanz. Das mit den vier Bechern war angesichts seiner Größe wirklich eine beeindruckende Leistung. Bestimmt hatte er mit den glänzenden Scherben seinen Hort erweitern wollen. Niyara wischte sich den verschütteten Wein von den Fingern. Der kleine Drache nahm die Münze zwischen die Zähne und schob sich auf der Handfläche nach vorn. Dabei blickte er Niyara ununterbrochen an. Wenn sie ihm ihre Hand bot, gäbe es kein Zurück mehr. Sie hätte die volle Verantwortung für den kleinen Kerl. Dabei war sie selbst kaum ausgewachsen. Sicher, sie konnte sich inzwischen wandeln und in Menschengestalt verweilen, so lange sie wollte. Aber Niyaras Hort drohte bald ihren Wagen zu sprengen. Darin fanden sich genug Geschenke für hunderte von Wintersonnenwenden. Doch sich trennen? Absurd. Niyara schüttelte den Kopf.
Der Händler streckte seine Hand weiter über den Tisch. „Nun nehmen Sie ihn schon.“ Er riss ihr das weinbefleckte Tuch weg. „Sie können ihn beim nächsten Stand wieder loswerden. Die hatten ihn noch nicht.“
Der kleine Drache erreichte die Fingerspitzen des Händlers und krümmte sich dort zusammen, als wollte er sich gleich in die Luft schwingen. Allerdings würde er mit der Münze im Maul zu schwer zum Fliegen sein. Zögernd streckte Niyara eine Hand aus. Noch war er klein. Irgendwie würde sie Platz für ihn finden. Schließlich konnte sie einen Artgenossen nicht bei Menschen lassen, die keine Ahnung davon hatten, was er brauchte. Vorsichtig packte sie ihn mit Daumen und Zeigefinger unter den Flügeln und setzte ihn sich auf den Arm. Sofort kraxelte er an ihrer Jacke empor. Seine Krallen hinterließen winzige Löcher im dicken Stoff so wie Niyaras damals bei Mila. Er kroch über den Kragen und schmiegte sich an ihren Hals. Seine Hitze floss über ihre Haut, wärmte ihr den Nacken, floss hinab bis zu ihren Zehen- und Fingerspitzen. Niyara unterdrückte das Verlangen, laut zu schnurren.
Stattdessen nickte sie dem Händler zu, der sie erleichtert anstrahlte. „Fröhliche Festtage“, wünschte er. Niyara stellte den Becher auf seinen Tisch, wo er wieder das Licht der Kerzenflammen einfing, glänzte und schimmerte. Sie schluckte und drehte sich weg. Schritt für Schritt schlenderte sie von dem Stand fort. Noch immer durchdrang sie die Wärme ihres kleinen Gefährten, machte ihre Schritte leichter. Endlich ließen sie das Menschengedränge hinter sich zurück, die Stände, den Marktplatz.
Niyara legte den Kopf in den Nacken, beobachtete, wie die Schneeflocken auf sie zuschwebten. Ja, dieses Mal würde sie es schaffen. Sie würde Lyk das breite Perlmuttarmband schenken, weil er das so mochte, und Mikosch bekäme die schwere Kette mit den tiefblauen Steinen, die seine Augen so zum Leuchten brachten. Dara hatte nichts für Schmuck übrig, würde sich aber über das Glasspiel freuen, das Sonnenlicht ebenso einfing wie das Licht der Sterne und jede noch so dunkle Nacht wärmte und erhellte. Für Snot hatte sie eine silberne Flöte. Er würde ihnen allen den letzten Nerv rauben, bis er sie endlich beherrschte, aber niemand würde seinem entzückten Lachen bei jedem Klang, den er ihr entlockte, widerstehen können. Mila würde sie endlich den goldenen Füllfederhalter schenken, der seit Jahren in einer Kristallschale auf der Kommode ruhte. Seine Feder würde leicht über das Papier gleiten, wenn sie ihre Texte schrieb. Niyara konnte sie schon dabei lächeln sehen.
Vielleicht, ganz vielleicht, würde sie auch noch ein paar der anderen Funkeldinge verschenken – oder sie hob sie für die nächste Wintersonnenwende auf und die darauf folgende und die wieder folgende und noch etliche mehr. Immer eine nach der anderen. Und in dieser musste Niyara erst einmal nur genug Platz für den Kleinen schaffen. Sie fühlte sich leicht wie die Schneeflocken und tanzte mit ihnen heim.
(Die Dezembergeschichte von C.A. Raaven findet ihr hier: Anderwelt … und damit geht unser Reigen der phantastischen Montage erst einmal zu Ende. Wir können zurückblicken auf vier phantastische Jahre mit einer wilden Mischung an Geschichten und sind gespannt auf alles, was kommt und was wir so als nächstes anstellen. Lest mal wieder rein! )