Stadtmagie „Eine geheime Mission“, Teil 6

„So eine -“ Anne steckte das Handy weg, das sie automatisch aus der Tasche gezogen hatte. Exzentrisch war ja schön und gut, aber unerreichbar war schlicht unakzeptabel. Wer existierte heutzutage noch ohne Handy? Die Antwort war ebenso simpel wie nervig: Kjara Larson. Die Frau, von der ihr Vorgänger gesagt hatte: „Egal, wie verrückt sie dir oft vorkommen wird, du wirst gut daran tun, ihr zuzuhören.“ Und damit hatte Joost sich in die Rente verabschiedet. Aber wie sollte sie auf eine hören, die sie nicht mal erreichen konnte, wenn sie dringend mit ihr reden wollte? Sie würde dieser Frau ein Handy aufnötigen und wenn sie es persönlich kaufen musste! „Also gut, also gut, bleib ganz ruhig.“ Sie biss sich auf die Lippe. Das musste sie sich abgewöhnen. Dringend. Sowohl das Lippenbeißen als auch das laute Reden, wenn sie allein war. Sonst würde sie noch anfangen, sich für verrückt zu halten. Und den Gefallen würde sie denjenigen, die sie jetzt schon als durchgeknallt abschrieben, ganz bestimmt nicht tun.

Sie schluckte gegen die nächsten Worte an, die sich hinausdrängen wollten. Die Entwöhnung vom Beißen verschob sie auf später. Immer eins nach dem anderen. Sie zog ihr Handy wieder aus der Hosentasche und begann zu fotografieren. Die Zeichnungen an den Wänden waren komplett wirr. Aber sie würde jetzt nicht versuchen, das Labyrinth aus Linien zu entschlüsseln. Besser, sie konzentrierte sich weiter darauf, keine lauten Kommentare abzugeben. Immerhin konnte jederzeit jemand reinkommen. Dem Schlafsack und den noch frischen Essensresten nach lebte hier wer – oder war zumindest hier untergekrochen. Anne würde es eindeutig vorziehen, wenn sie diejenige war, die die Überraschung auf ihrer Seite hatte. Besser noch: wenn sie diejenige auf einem gut verborgenen Beobachtungsposten war, wenn, wer immer hier Unterschlupf gefunden hatte, von seinem oder ihrem Ausflug zurückkam.

Sie schoss ein letztes Bild und steckte das Handy zurück in die Hosentasche. Es juckte sie in den Fingern, hier alles zu durchsuchen, aber dazu brauchte sie eine Genehmigung, sagte ihr Gewissen – und wenigstens eine Person zur Verstärkung, um die Tür zu überwachen, meldete die Vernunft. Anne seufzte. Sie schaute sich ein letztes Mal um: Schlafsack in der linken Ecke gegenüber der Tür, ein Apfel, zwei Bananen, ein halbes Brot auf dem Tisch unterm Fenster, ein elektrischer Wasserkocher – also gab es hier Strom – Teebeutel und Instantkaffee. Sie verzog das Gesicht. Ein Stapel Bücher und Notizbücher und Stifte nahmen die andere Hälfte des Tischs ein. Darunter lag ein Haufen mit Klamotten und Decken und wer weiß was sich darunter noch verbarg.

An der Wand neben der Tür, links, ein Regal voller Einmachgläser, alle gefüllt, und auf der rechten Seite von der Tür, die Zeichnung mit den wirren Linien. Die hatte sie sicher. Zeit zu verschwinden.

 

… Fortsetzung folgt! (Sorry, in nächster Zeit eher unregelmäßig, der nächste Roman will geschrieben werden …)