Die Dunkelheit kam immer noch viel zu früh, der Winter weigerte sich zu gehen. Die Kälte machte Kjara nichts aus. Sie brauchte nicht einmal eine Mütze für ihren glatt rasierten Kopf. Und wenn es nicht zu auffällig wäre, hätte sie am liebsten auch den Wintermantel weggelassen. Aber Anpassung musste sein. Schließlich wollte sie nicht ewig hier bleiben, also hielt sie sich besser an die Regeln, die man ihr auferlegt hatte. Und die oberste hieß nun einmal: nicht als fremdes Wesen zu erkennen geben. Kjara schob die trübsinnigen Gedanken beiseite und konzentrierte sich wieder auf den Weg. Es hatte geregnet, und manche der Pflastersteine waren von einer dünnen Eisschicht überzogen. Sie durfte nicht stolpern, musste die kühle, dunkle Kugel sicher an ihr Ziel bringen.
Sie pulsierte schwach in ihrer Hand. Viel zu schwach. Die Stimmen waren gerade mal vor zwei Wochen aufgenommen worden und seit zehn Tagen im System. In dieser Zeit sollte eine Wesenheit nicht so stark entkräften.
Mit ein wenig Magie könnte – Kjara stoppte sich. Sie durfte nichts an der Wesenheit verändern. Jeder noch so kleine magische Energieschub würde unübersehbare Folgen haben. Sie hatte die Wesenheit nicht gerettet, um sie jetzt mit einem gut gemeinten Eingriff aus dem Takt zu bringen. Nur in dem zu ihr gehörenden Körper konnte die Wesenheit sich erholen und dann den Körper heilen. Kjara beschleunigte ihre Schritte, als das Krankenhaus in Sicht kam. Das alles ginge so viel einfacher und vor allem schneller, wenn sie in ihrer wahren Gestalt sein könnte!
Sie stürmte durch die Eingangstür und an der Rezeption vorbei. Für den Fahrstuhl hatte sie keine Geduld. Das Treppenhaus gehörte ihr allein. Sie nahm abwechselnd zwei und drei Stufen auf einmal, sehnte sich nach der vollen Kraft ihrer Muskeln, die ihr in ihrer gegenwärtigen Gestalt verwehrt blieb. Wie hielten Menschen das aus?
… Fortsetzung folgt am: Mittwoch, 13.05.2015