Ein lautes Räuspern ließ mich zusammenschrecken. „Was?“, murrte ich und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Ich wollte mich weder unterhalten noch akzeptieren, dass es Morgen war. Oder Mittag, wenn man den üblichen Definitionen der Tageszeiten folgte. Egal. Ich hatte zu wenig geschlafen, also würde ich die Helligkeit da draußen einfach ignorieren.
Aber das mit dem Ignorieren ist so eine Sache, wenn man mit einem Drachen zusammenlebt. Auch jetzt hatte Ti’run andere Vorstellungen als ich. Und mir fiel — etwas verspätet — auf, dass ich sie mit meiner mürrischen Frage zu einem Gespräch geradezu herausgefordert hatte. Zumindest nach Drachenlogik. Eigentlich sollte ich das inzwischen besser wissen. Aber wie gesagt: Ich hatte zu wenig Schlaf bekommen.
Ti’run zupfte an meiner Bettdecke. Ich hielt dagegen. Wenigstens war sie noch nicht stärker als ich. Sie räusperte sich erneut und ließ von der Decke ab. „Du bist denen da draußen noch eine Geschichte schuldig.“ Kleine Pfoten bohrten sich durch den Stoff in meine Seite, dann stand sie auf meiner Brust.
„Ich schulde niemandem gar nix.“ Und überhaupt hatte ich keine Lust, jetzt etwas zu erzählen. Alles, was ich wollte, war schlafen. Was für Ti’run kein Argument sein würde. Also setzte ich nach: „Wer mehr von der Geschichte will, soll sie sich doch selbst weiterdenken. Nicht meine Aufgabe.“
„Falsch.“ Zwei kleine Pfoten stemmten sich abwechselnd gegen meine Brust. „Ich bin deine Muse. Und wenn ich sage, du musst die Geschichte weitererzählen, dann musst du die Geschichte erzählen.“
Ich beschloss, dass ich mich verhört haben musste. Oder ich träumte das alles. Hier unter der Bettdecke war schließlich alles möglich. Auch dass noch Nacht war und ich im Tiefschlaf. Aber Traum oder nicht — Ti’runs Stimme blieb hartnäckig.
„Du kannst nicht einfach so etwas sagen wie beim letzten Mal und dann behaupten, die Geschichte wäre zu Ende erzählt.“
Ich seufzte. Entweder verfolgte Ti’run mich jetzt schon bis in meine Träume oder ich war doch wach. Das Ergebnis würde dasselbe bleiben. Sie gäbe keine Ruhe, bis ich die Geschichte erzählte, die sie hören wollte. „Du hast nur wissen wollen, was hinter dem Mond liegt“, versuchte ich es trotzdem. „Nicht welche Geschichte sich damit verbindet.“
„Aber jetzt will ich es wissen.“ Vier Pfoten trippelten auf mir herum, immer im Kreis, bis die Bewegung stoppte und ein kleines Knäuel auf meiner Brust lag.
„Hast du es bequem?“ Die Frage kam viel sanfter heraus, als ich beabsichtigt hatte. Sogar mein Sarkasmus ließ mich im Stich.
„Du doch auch.“ Ti’run machte sich extra schwer. Jedenfalls viel schwerer, als so ein kleiner Drache sein dürfte. „Und jetzt erzähl.“
Hatte ich eine Wahl? Nein. Ich hatte nur ein Problem: Ich hatte keine Ahnung, was ich erzählen sollte. Ja, ich hatte eine Antwort gehabt auf die Frage, was wohl hinter dem Mond läge — aber eben nur eine Antwort, keine Geschichte.
Ich atmete tief durch und hörte Ti’runs empörtem Protest zu, als sich ihre Liegefläche hob und senkte und sie ins Schwanken brachte. Ich schloss die Augen und blickte nach innen in die Ferne und begann zu erzählen:
Hinter dem Mond, da lebt die Feuerdrach. In ihr lebt das alte, uralte Feuer, aus Zeiten lange bevor die ersten Drachen ihr erstes Feuer spien. Sie streckt und windet sich durch Zeit und Raum, unsichtbar für unsere Augen. Nichts hält sie auf, nichts schränkt sie ein.
Doch manchmal wurde es der Feuerdrach einsam zwischen den Sternen. Und als sie lange genug einsam gewesen war, streckte sie ihre Sinne aus und begann ihre Suche.
Sie grüßte den Mond. Doch für ihn war ihr Feuer zu heiß.
Sie grüßte die Sonne. Doch deren Feuer ertrug selbst die Feuerdrach nicht lange.
Schließlich grüßte sie die Erde und fand das flüssige Gestein in ihr, die brodelnde Hitze, die ihrer so sehr glich. Und sie ließ etwas von ihrem Feuer hineinfließen. Die brodelnde Hitze strömte durch die Schichten der Erde, drängte hinauf und schoss hinaus, riss Berge auf, versprühte ihr Feuer weit und fern, floss in reißenden Strömen die Bergflanken hinab, traf zischend und knisternd und rauchend auf die unendlichen Meere.
Die Feuerdrach spürte alles, was ihr Feuer berührte. Wie die Hände einer Riesin streckte sie ihre Feuerfinger über die Berge, liebkoste ihre Hänge und Täler, kostete Fels und den herb-frischen Geschmack alles Grünen, nahm das Rauschen der Baumkronen in sich auf und trug alles mit sich.
Erst die Meere kühlten ihre Feuerfinger. Sie floss in sie hinein, verwundert über diese nassen, neuen Wesen. Während sie tiefer und tiefer hineinsank, kühlte über ihr das Land allmählich ab, nährte einen neuen Boden.
Aber das kümmerte die Feuerdrach schon lange nicht mehr. Sie streckte und dehnte ihre Feuerfinger durch diese kühle Flüssigkeit, schwerer als der Raum zwischen den Sternen und erfüllt von einem ihr unbekannten, lockendem Gesang.
Die Feuerdrach lauschte und lockte ihrerseits die Töne zu sich heran, umschmeichelte sie mit ihren Feuerfingern. Die Töne glucksten, brummten, lachten, krächzten, blubberten, summten und sangen unter ihren Liebkosungen.
Und aus ihrem gemeinsamen Spiel formten sich neue Wesen. Drachen.
Im Wasser geboren, aus flüssigem Gestein geformt, von der Luft getragen, von ihrem inneren Feuer gewärmt, von Sternenstaub geküsst.
Die Feuerdrach in ihrem fernen Zuhause zwischen den Sternen, hinter dem Mond, spürt auch heute noch alles, was Drachenflammen berühren. Und so ist sie nicht länger einsam.
Ein tiefer, wohliger Seufzer ertönte auf meiner Brust. „Na bitte“, brummte Ti’run, „geht doch.“ Leise vor sich hinsummend kuschelte sie sich tiefer in die Bettdecke und blieb auf meiner Brust liegen, während ich verwundert weiterträumte.
(Im Juli lassen wir uns bei #phantastischermontag von dem Song „I Am The Fire“ von Halestorm inspirieren. Was bei den weiteren Autor*innen unseres Projekts dabei herausgekommen ist, könnt ihr hier nachlesen: Carola Wolff Die Königin der Welt , C.A. Raaven Don’t , Alexa Pukall … Link folgt nächste Woche. Viel Spaß beim Stöbern und Lesen!)